Es ist schon seltsam mit den Menschen, auch mit den denkenden und philosophierenden: Kaum haben sie einige Erkenntnisse gewonnen, erheben sie sich über die anderen, die ihre Erhabenheit nur am Mehrwert, an mehr Kraft, oder an sonst etwas festmachen. Dazuhin bewährt sich der Spruch aus dem Schwabenland: "guck i rom, guck i nom, lauter domme om me rom".
Frei übersetzt: "Schau ich hin, schau ich her, die Dummen werden immer mehr..."
Ja, und wer hätte nicht gerne, dass viele so sind wie er selber - besonders dann, wenn man sich für einen angenehmen und interressanten Menschen hält? Also, bedarf es der gleichen Übermenschen, - Spielarten sind gestattet,- aber bitte, alle hochleistend und intelligent, so wie man selber.
So ist es nicht gänzlich verwunderlich, wie es einen oft trockenen, deutschen Philosophen zum Bhagan ziehen konnte, denn dieser war ja auch Philosoph. Der wollte aber viele andere erleuchten,und vor allem sich selber feiern.
So alternativ wie er sich gab, war dieser nicht, denn er wollte den modernen Kapitalismus, keine Armut, sondern Wohlleben. Das zog jene sich erhaben fühlenden Geister an, die auch nicht vom Wohlleben lassen wollten. Es mag typisch sein, dass es ein Schild gab vor der Vortragshalle, auf dem dazu aufgefordert wurde, die Schuhe und den Verstand draussen zu lassen.
Auch bei Sloterdijk ist die Frage manchmal naheliegend, ob bei der Lektüre und dem Anhören seiner neuesten, geistigen Auswürfe der Verstand besser weggelassen werden sollte, falls man ein Fan dieses Philosophen bleiben will. Doch ganz so einfach ist es nicht mit ihm, er drückt die Dinge eben oft anders aus, als es uns geläufig ist.
Lesenswert ist sicher folgendes Interview:
Peter Sloterdijk im Interview: "Nur Verlierer kooperieren"
Das neue Buch´des Philosophen kommt im Befehlston daher: „Du musst dein Leben ändern!" Ein Gespräch mit Peter Sloterdijk über die „Massenfrivolität" des Neoliberalismus, die Krise als Katastrophenfilm und das Genialische an Barack Obama. taz, 5. Mai und Falter, April 2009
Herr Sloterdijk, muss ich mein Leben ändern?
Sloterdijk: Vermutlich ja - unter der Voraussetzung, dass Sie sich in Hörweite des absoluten Imperativs begeben. Das ist eine riskante Position: Seit dreitausend Jahren fühlen sich zahllose Einzelne in den höheren Kulturen von spirituellen Autoren angesprochen, die den absoluten Imperativ ihrer Zeit artikuliert haben. Daraufhin haben sie oft alles stehen und liegen lassen.
Wer spricht da zu mir?
Sloterdijk: In unseren Tagen ist es die globale Krise, und zwar die ökonomische, die ökologische, die kulturelle. Ich habe mit meinem Buch versucht, eine Art Megaphon zu sein und zu formulieren, was aus der Krise unserer Zeit emaniert. Dabei geht es zunächst darum, die Realität der Krise überhaupt im Ernst zu begreifen.
Der Mensch ist ein übendes Wesen, lautet eine zentrale These Ihres Buches. Wie kann ich dann aber nicht in Hörweite sein? Anders gefragt: Wieso richtet sich dieser Imperativ dann nur an Einzelne, eine sensitive Elite?
Sloterdijk: Es gibt in jeder Epoche die Sensitiven, die auf den Appell antworten, und die Stumpfen, die einfach nur weitermachen wollen. Die Botschaft der aktuellen Krise ist noch nicht restlos entschlüsselt, doch vermutlich läuft die Decodierung auf etwas hinaus, was wir in den siebziger Jahren auf Basis des Berichts des Club of Rome schon einmal im Visier hatten - auf einen globalen Code der Zurückhaltung und um die Abkehr vom Credo des quantitativen Wachstums. Um dergleichen zu artikulieren müssen wir aufhören, die Krise zu ästhetisieren.
Passiert das im Augenblick?
Sloterdijk: Die westliche Krisenästhetik geht auf die Romantik zurück, seit einem halben Jahrhundert beherrscht sie die Welt-Massenkultur. Wir haben es fertiggebracht, Naturkatastropheen und Sozialkatastrophen als Horrorgenre zu ästhetisieren. Die Katastrophe ist für uns vor allem ein ästhetisches Konzept.
Aber die Finanzkrise kann man sich nicht gut als Horrorfilm ausmalen, oder?
Sloterdijk: Da wäre ich mir nicht so sicher. Einerseits erleben wir sie als die Rückkehr des Realen, sie bringt die Rache des ökonomisch Realen am Imaginären des Börsencasinos zum Zug. Hierbei sind im kollektiven Erleben die Ansätze zur Ästhetisierung unverkennbar - viele genießen die Krise auch ganz unverhohlen, weil sie „das System" bloßstellt. Die Sehweise des Theater- und Kinobesuchers ist so tief in uns eingepflanzt, dass wir die Gegenwart wie einen Katastrophenfilm erleben. Die basale Botschaft des Katastrophenfilms ist ja: Solange wir zuschauen, kann es nicht so schlimm sein.
„Du sollst Dein Leben ändern" - ist das nicht etwas unscharf? Darunter kann die große, fundamentale Wende verstanden werden, aber auch die tägliche Übung im Kleinen, die ja auch der Neoliberalismus von uns gefordert hat: Arbeite an Dir, halte Dich fit für den globalen Wettbewerb!
Sloterdijk: Der große Unterschied ist eben der, dass der Neoliberalismus eine Metaphysik des Mitmachens impliziert. Er wendet sich an den alten Adam in dessen schlimmsten Eigenschaften: Je gieriger Du bist, umso besser drückst Du Dich selbst aus und desto besser passt du in den Betrieb. Der Imperativ, den ich rekonstruiere, erzeugt eine ethische Revolution, er verlangt die Distanzierung zum bisherigen Leben und setzt auf Diskontinuität.
Selbstvervollkommnung jenseits der Trivialität des „Mehr"?
Sloterdijk: Jenseits der neoliberalen Metaphysik, die den Stoffwechsel verabsolutiert, indem sie uns den Satz in den Mund legt: Ich fresse, also bin ich. Und je mehr ich fresse, umso mehr bin ich. Und wenn ich zudem noch ein Maximum an Information umsetze, dann bin ich innerweltlich vollkommen, ein Vollkommener im Dienste der kapitalistischen Immanenz. Das prolongiert sich am deutlichsten im Augenblick der Krise: Jetzt flehen uns die Politiker an, den Stoffwechsel ja nicht zu vernachlässigen. Die geldgetriebene Verdauungsmaschine darf auf keinen Fall ins Stocken kommen.
Auch in linksliberalen Kreisen ist der Konsumismus negativ besetzt, aber wenn man das Einkaufen Nachfrage nennt, dann wird daraus etwas Positives.
Sloterdijk: Der Neoliberalismus hatte das ideologische Verdienst, die schamhafte Maske vor dem Konsumismus fallen zu lassen, er hat ihn geradewegs zum zentralen Lebensmotiv erklärt.
Was ist da in den vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren passiert?
Sloterdijk: Man hat uns in ein psychopolitisches Großexperiment über Frivolität verwickelt - aber was auf dem Programm stand, war nicht mehr aristokratische Frivolität, sondern Massenfrivolität, Leichtsinn und Egoismus für jeden. Man hat in dieser Zeit behauptet, Gemeinwohldenken sei gescheitert. Also blieb der Asozialismus, den wir höflicherweise Individualismus genannt haben, um uns mit besseren Gefühlen zu ihm zu bekennen. Doch was sind konsequente Individualisten? Es sind Menschen, die ein Experiment darüber veranstalten, wie weit man beim Überflüssigmachen sozialer Beziehungen gehen kann.
Aber kann der Kapitalismus ohne diese „Gierdynamik", wie sie das einmal genannt haben, funktionieren?
Sloterdijk: Die Wahrheit dieses Systems ist eine doppelte. Einerseits wird der Mensch als Stoffwechsler enthüllt, und dies drückt eine unleugbare Wahrheit aus. Zugleich kommt ein anderer Aspekt der Wahrheit über die Lage des Menschen zutage: Wir gelangen durch entfesselten Konsum an die Grenzen der Naturproduktivität. Die Menschheit erweist sich als eine Gattung, die es fertig bringt, die Natur leer zu fressen. Am bestürzendsten zeigt sich das beim Fischfang: Der Urlauber auf griechischen Inseln Inseln isst heute schon norwegische und finnische Fische, die über Nacht eingeflogen werden, weil die Ostägäis praktisch leergefischt ist.
Aber lautete die moralische Erzählung der liberalen Ökonomie nicht, dass der Eigennutz der Einzelnen in allgemeinen Nutzen umschlägt?
Sloterdijk: An sich ist dies ein höchst sympathisches Konzept, und es wäre zu wünschen, dass die Dinge so liegen. Es ist kein Zufall, dass selbst große Geister wie Kant mit diesem Modell sympathisiert haben - er hat zwar große Stücke auf den freien guten Willen gehalten, aber da er dem allein nicht die ganze Last der Sittlichkeit aufbürden konnte, setzte er zusätzlich auch auf den Marktmechanismus bzw. die gegenseitige Zivilisierung der Egoismen. Wir sehen inzwischen, wie verfrüht diese Zivilisierungshoffnung gewesen ist.
In Ihrem Buch „Zorn und Zeit" haben Sie die Metapher „Zornbank" geprägt. Die wurde ja in jüngster Zeit sehr ironisch modifiziert - jetzt sind es Banken, die den Zorn auf sich ziehen.
Sloterdijk: Es soll Kreise geben, in denen das Ansehen des Bankers noch unter das des Kinderschänders gesunken ist. Aber das war mit „Zornbank" nicht gemeint.
Sie beschrieben politische Organisationen, die Zorn und Empörung - etwa über Ungerechtigkeiten - in produktive Energien umwandelten, Parteien beispielsweise oder Gewerkschaften.
Sloterdijk: Das Konzept wird wieder aktuell, weil sich erneut die Frage stellt, ob es für die kollektive Empörung eine ansparbare und renditefähige Form geben kann.
Der Titel „Du sollst Dein Leben ändern" deutet nicht darauf hin - das ist ja ein Imperativ, der sich an den Einzelnen richtet.
Sloterdijk: Vergessen Sie nicht: Wir leben am Ende eines Zeitalters vereinseitigter Weltveränderung. Seit der Französischen Revolution behauptet die Forderung nach Weltveränderung den Vorrang vor der Selbstveränderung. Doch dieses Schema greift nicht mehr - nachdem man gesehen hat, zu welchen Ergebnissen die gewaltsame Weltveränderung von außen im Kommunismus geführt hat. Selbst der historische Kompromiss der Nachkriegszeit, den man den rheinischen Kapitalismus nannte, dieser real existierende Semisozialismus, in seiner strahlenden Lächerlichkeit, ist unwiederholbar...
Halt! Der war doch das Funktionstüchtigste, das wir hatten!
Sloterdijk: Auch als Linker hat man ein Recht ein Recht ihm nachzutrauern.
Aber weil er schon existiert hat, geht von ihm kein utopischer Glanz mehr aus, auf ihm liegt der Schatten des Nostalgischen?
Sloterdijk: Dies ist das Paradoxon des progressiven Denkens seit jeher: Wir können den Menschen ehrlicherweise immer nur das Zweitbeste vorschlagen, und das scheint gegen die menschliche Natur zu sein. Die will das Beste, und wenn man als Realist nur Zweitbestes im Angebot hat, verletzt man eine Spielregel der psychischen Wirklichkeit. Darum hat es jede nicht-utopische Linke schwer. Sie muss für Suboptimales Propaganda machen, von dem zudem nicht gewiss ist, ob man es erreicht. Wenn man heute etwas Großes versuchen wollte, müßte es eine ökologische Kühnheit sein.
Barack Obama versucht das gerade in den USA: Bankenrettung, gleichzeitig Sozialpolitik machen und obendrein ökologische Infrastrukturinnovationen. Kühnheit in der Krise lässt sich da doch attestieren.
Sloterdijk: Das Wort „change" ist das Schlüsselwort zu Obamas Erfolg gewesen. Man könnte sagen, Obama hat den Imperativ „Du musst Dein Leben ändern" ins Euphorische übersetzt, sodass nicht mehr von „müssen" gesprochen wird, sondern vom „können" - „wir können das". Das war ja das Genialische an dem Slogan „Yes, We Can". Die Amerikaner wollen lieber können als von einem Müssen überwältigt zu werden.
Simpel gesagt: Manchmal gibt es auch ein bisschen Glück in der Geschichte.
Sloterdijk: Was man am meisten braucht, ist zugleich das Unverfügbare.
Kommt jetzt der alte, verstaubte Begriff „Gemeinwohl" zurück?
Ein anderer Philosoph und andere Antworten:
PHILOSOPHIE |
„Wie ein Kino ohne Projektor“ |
Nietzsches Übermensch ist wieder da – in den Werken eines Peter Sloterdijk und Richard Dawkins. Robert Spaemann hält ihnen sein Menschen- und Gottesbild entgegen. Ein Gespräch mit dem Philosophen.
Für Platon ist dieses Höhlengleichnis ein Bild für den Menschen, der die sinnlich erfahrbaren Dinge für die eigentliche Wirklichkeit hält. Und das Herauskommen aus der Höhle ist das Erwachen des Bewusstseins für die eigentlichen Realitätsverhältnisse, dass die Grundstrukturen der Welt nicht abhängig sind von den materiellen Dingen. Der große Logiker Heinrich Scholz pflegte zu sagen: „Die Gesetze der Logik sind unabhängig vom Kreidevorrat der Welt. Das heißt: Wenn keine Tafeln und kein Papier mehr da sind, um diese logischen Gesetze aufzuschreiben, existieren sie dennoch ganz unabhängig von irgendwelchen sinnlichen Erfahrungen.“
Deshalb sah Nietzsche in seinem Nihilismus, mit dem man nicht auf die Dauer leben könne, ein Durchgangsstadium. Jenseits des Nihilismus erwartete er eine Welt mit neuen selbst geschaffenen Mythen, die mit Wahrheit nichts zu tun haben. Der von ihm propagierte heroische Nihilismus, der dem Schicksal ins Auge sieht und so lebt, dass er in unendlichen Wiedergeburten immer wieder so leben möchte. Er muss am Ende scheitern und in der Spaßgesellschaft enden. Das hatte Nietzsche vorausgesehen, wenn er das Volk sagen lässt: „Ach Zarathustra, gib uns den letzten Menschen, und wir schenken dir den Übermenschen.“
Nun behaupte ich, wenn wir nicht die Realität eines absoluten Bewusstseins annehmen, in dem alles, was geschieht, für immer aufgehoben ist, dann kann niemand erklären, was es heißt, dass etwas gewesen ist. Es ist dann weg. Wenn also dem Gewesensein nicht eine Wirklichkeit entspricht, und das ist die Wirklichkeit Gottes, dann gibt es kein Gewesensein. Wenn ich diese grammatische Struktur leugne, dann lebe ich im Absurden. Das meint wohl Nietzsche, wenn er sagt: „Wir werden Gott nicht los, solange wir an die Grammatik glauben.“
David Hume, der Vater des neuzeitlichen Empirismus, sagt: „Wir tun niemals einen Schritt über uns hinaus.“ Wenn es kein Jenseits gibt, dann leben wir im Absurden. Die Zecke weiß nichts von einem solchen Jenseits der Zeckenwelt. Ihre Welt besteht nur aus Buttersäure und Abwesenheit von Buttersäure. Was anderes ist für sie nicht real. Sein ist für sie nur für Sie-Sein. Anders der Mensch. Ich sitze auf einem Schiff, um mich herum der Ozean. Ich bin immer in der Mitte, der Horizont wandert mit mir. Ich sehe in der Ferne ganz klein am Horizont ein Schiff, bedeutungslos wie eine Fliege. Aber ich weiß, dass dort Menschen sitzen, die genauso im Mittelpunkt sind wie ich. Aus deren Perspektive bin ich ganz klein. Wenn wir uns selbst als denkende Wesen ernst nehmen wollen, dann müssen wir Gott annehmen und uns selbst relativieren. Wenn wir ihn aber leugnen, leugnen wir uns selbst als wahrheitsfähige Wesen.
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