Der Freitod eines Torwarts und die Ethik
geschrieben am 11. November 2009 von Spiegelfechter
Als am gestrigen Abend die Meldung vom Freitod des deutschen Fußball-Nationaltowarts Robert Enke über die Ticker ging, ließ sich bereits erahnen, welche Vorstellung ab heute im Medienzirkus gegeben wird. Der bedauerliche Freitod eines jungen Mannes, der offensichtlich dem horrendem Druck des Profisports nicht mehr gewachsen war, verkauft sich natürlich gut. Wer in den Medien nun auf einen Funken Selbstkritik wartet, der wartet freilich vergebens. Auch die Verantwortlichen aus dem Umfeld des Fußballs trauern auffällig laut – auch hier, keine Spur von Selbstkritik. Stattdessen wird der Voyeurismus des Pöbels schamlos bedient.
Diese Art des Sensationsjournalismus verkauft sich anscheinend so gut, dass die Medien ihre selbst aufgestellten Richtlinien für solche Todesfälle über Bord werfen und schamlos mit einer menschlichen Tragödie Auflage und Reichweite machen. Dabei werden nicht nur nahezu alle Empfehlungen von psychologischen Sachverständigen missachtet, die aktuellen Artikel der „Qualitätsmedien“ gleichen vielmehr 1:1 der Negativliste, wie man es nicht machen sollte. Die mangelnde Ethik der Medien hat ist dabei nicht nur medientheoretisch anstößig, sie wird – da sind sich die Fachleute einig – auch Todesopfer fordern. Der Fall Enke ist nämlich ein Lehrbuchbeispiel für den sogenannten „Werther-Effekt“.
Die Leiden des jungen Werther
Robert Enke war nicht nur ein sensibler Spitzensportler, er war auch ein Sympathieträger, der für viele Fußballanhänger eine Vorbildfunktion hat. Genau dieser Umstand macht aus der Berichterstattung über den Freitod des Sportlers ein Politikum. In dem Fachaufsatz „Selbstmord als Nachahmungstat“ beschreibt Psychologieprofessor Volker Faust die Problematik wie folgt:
Suizide von Prominenten haben eine ggf. ernstzunehmende Sogwirkung, wenn darüber entsprechend berichtet wird. Dieser Effekt wird umso deutlicher, je bekannter, sympathischer und beliebter die durch eigene Hand verstorbene Person ist.
Als Johann Wolfgang von Goethe 1774 seinen Roman „Die Leiden des jungen Werther“ veröffentlichte, zog dies eine Reihe von Selbstmorden nach sich, die in ihrer Inszenierung durch Goethes Protagonisten inspiriert waren, der sich im Roman aus Liebeskummer das Leben nimmt. Damals sprach man von einem „Werther-Fieber“, heute spricht man in den Medienwissenschaften vom „Werther-Effekt“. Als erster Wissenschaftler stellte der amerikanische Soziologe David Philipps in den 70ern Zusammenhänge zwischen der medialen Berichterstattung über Suizide prominenter Persönlichkeiten und Nachahmungstätern fest. Ob und in welcher Art die Medien eine Mitverantwortung für solche Folgetaten tragen, ist schwer zu beantworten. In Wien gibt es seit über 10 Jahren ein „Gentlemen´s-Agreement“ zwischen den lokalen Medien und den Wiener Verkehrsbetrieben. Seit nicht mehr über Suizide in der Wiener U-Bahn berichtet wird, ist die Zahl der Selbstmorde um rund 50% gesunken. Auch im Presskodex der deutschen Pressrats verpflichten sich die Printmedien zu einer „zurückhaltenden Berichterstattung“ bei Suiziden – wenn das öffentliche Interesse an einem solchen Fall allerdings auch eine wirtschaftliche Kompetente beinhaltet, gelten derlei hochmoralische Schwüre in der modernen Presselandschaft allerdings offensichtlich nicht mehr.
Das Versagen der „Qualitätsmedien“
Ein Blick in die Online-Sektionen deutscher Printmedien offenbart die mediale Ohnmacht. Wo man auch hinschaut – es wird spekuliert, was das Zeug hält. Die Negativliste aus den Medienempfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention“ beschreibt die Berichterstattung der „Qualitätsmedien“ wohl am besten:
- Ein Suizid sollte nicht als Aufmacher auf der Titelseite erscheinen. Geschenkt, bis auf die FTD erschien heute kein einziges Publikumsmedium mit einem anderen Thema als Aufmacher.
- Es sollten weder Fotos noch Dokumente wie der Abschiedsbrief publiziert werden. Natürlich wäre es naiv, anzunehmen, dass eine Berichterstattung über den Freitod eines Sportstars ohne Foto auskäme. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Abschiedsbrief nicht in den nächsten Tagen 1:1 von der BILD-Zeitung abgedruckt wird, geht derweil allerdings gegen Null.
- Der Suizid sollte nicht als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion dargestellt werden oder als alternativlos dargestellt werden. Im Falle Enke hatten die lieben Kollegen der schreibenden Zunft bereits am gestrigen Abend nichts Besseres zu tun, als den Freitod als nachvollziehbare Reaktion auf den Tod seiner Tochter darzustellen.
- Die Suizidmethode und der Ort des Suizids sollten weder detailliert beschrieben, noch abgebildet werden. „Natürlich“ weiß heute ganz Deutschland ganz genau, an welchem Ort sich Robert Enke wie umgebracht hat. Selbst komplett irrelevante Details werden in den Rang einer Sondernachricht gehoben.
Den „Qualitätsmedien“ geht es nicht um eine pietätsvolle Berichterstattung, die den berechtigten Informationsbedarf der Leser genüge tut, es geht um eine sensationsheischende Berichterstattung, bei der es keine Tabus gibt. Schon gar nicht geht es den Medien um Suizidpräventation. Es wäre nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über den „Werther-Effekt“ naiv anzunehmen, dass die Berichterstattung im Fall Enke keine Nachahmungstäter finden wird. Suizidgefährdete sind oft extrem labil und bereits der kleinste Funke kann ausreichen, um eine verhängnisvolle Reaktion auszulösen. Die Verantwortung der Medien ist allerdings in Zeiten der rückläufigen Auflagen und Werbeerlöse anscheinend zu einem Thema für Sonntagsreden verkommen.
Spiegel-Online, Welt und die Süddeutsche bieten ihren Lesern sogar die Möglichkeit eines virtuellen „Kondolenzbuches“. Welche Funktion soll ein solcher „Klickfänger“ haben, außer der Verbesserung der werberelevanten Page-Impressions? Natürlich hat das Volk immer Interesse an pikanten und auch an pietätslosen Details – aber als Journalist muss man auch einmal eine Grenze ziehen. Es kann nicht sein, dass alles der Sensationsgier des Pöbels unterworfen wird. Auch die anderen hinlänglich bekannten „Klickfänger“ wurden bei der Berichterstattung über den Freitod Enkes an den Start gebracht – belang- und endlose Fotostrecken, hilf- und ratlose Kommentare und sinn- und pietätslose Forenbeiträge. Wenn sogar ein großer Teil der ansonsten nicht eben zartbesaiteten SPON- und WELT-Forennutzer lautstark fordert, die Foren zu diesem Thema aus Pietätsgründen zu schließen, sollte dies den Anbietern eigentlich zu denken geben. Auf einen solchen Denkprozess müssen wir allerdings wahrscheinlich noch sehr lange warten.
Zeit zum Nachdenken
Dabei gebe es mannigfaltige Ansätze, wie man den Freitod von Robert Enke verantwortungsvoll angehen könnte. Warum findet man in den „Qualitätsmedien“ beispielsweise keinen Beitrag, in dem das Thema „Depressionen und Suizidgefahr“ einmal enttabuisiert wird? Robert Enke war nicht der einzige an Depressionen Erkrankte, der sich scheute, sein Arbeitsumfeld und die Öffentlichkeit einzuweihen. Wie viele Ärzte, Manager oder auch “kleine” Angestellte leiden an Depressionen und haben Angst, im alltäglichen Wettkampf um die berufliche Existenz ausgesondert zu werden, wenn Details über ihre Erkrankung bekannt werden? Es ist unsere Gesellschaft, die psychische Leiden tabuisiert, die in irgendeiner Form signalisieren, dass der Erkrankte im harten Konkurrenzkampf um den Arbeitsplatz nicht mithalten kann. Vor allem im Profi-Fußball, einem Umfeld in dem bis heute sogar Homosexualität immer noch tabuisiert wird, gelten hier verschärfte Bedingungen. In einer Männergesellschaft, in der jede Regung der Seele als Schwäche ausgelegt wird, gelten auch Depressionen als Tabu, wie der Fall „Sebastian Deisler“ beweist.
Ich bin vielleicht empfindsam, aber nicht empfindlich, schon gar nicht schwach, wie viele denken. Ich, schwach? Ich war 19, 20, als die Deutschen meinten, ich könnte ihren Fußball retten. Ich allein.
[…]
Wenn man sich einige dieser Journalisten genau anschaut, sagt man sich: Das ist ja ein Wahnsinn, dass die alles über mich schreiben dürfen! Diese Oberflächenschwimmer! Einige von denen haben keine Ahnung, kein Gewissen, aber die Macht, für Millionen Menschen ein Bild von mir zu zeichnen. Und wenn man dieses Spiel nicht mitspielt, wenn man ihren Ansprüchen nicht folgt, ist man derjenige, der als nicht normal gilt. Heute frage ich mich, ob das System, das ich verlassen habe, vielleicht kranker ist, als ich es war.
Sebastian Deisler
Sebastian Deisler hat die Reißleine ziehen können, als er erkannte, dass er am harten Profifußballgeschäft zerbrach. Deisler war nicht schwach, er war stark. Zu erkennen, dass man an den Anforderungen des Umfelds zerbricht, ist Stärke. Sich hingegen von seinem Umfeld verbiegen zu lassen, ist Schwäche. Enke war anscheinend nicht so stark wie Deisler, er hat den Absprung aus einer seelischen Abwärtsspirale nicht geschafft. Anstatt über die Umstände des Freitods des Torwarts zu spekulieren, sollte dieser tragische Todesfall ein Startsignal dafür sein, Themen wie Depression und das Scheitern an gesellschaftlichen Ansprüchen zu thematisieren.
The games must go on
Stattdessen bläst Deutschland zur kollektiven Trauer. Fußballfans, die Robert Enke mit Gegenständen beschmissen hätten, wenn er sportlich versagt hätte, und die ihn von den Rängen als Weichei verhöhnt hätten, wenn er sich aufgrund seiner Depressionen eine Auszeit genommen hätte, fragen sich nun lautstark „warum?“. Ja, liebe „Fans“ – warum? Journalisten, die jede Schwäche des Torwarts gnadenlos gegen ihn instrumentalisiert hätten, spielen die Unschuld vom Lande und fragen „warum?“ Ja, liebe „Journalisten“ – warum? Auch Vereinsbosse, die um ihre Millioneninvestition fürchteten, Spielerberater, deren Honorar sich an Gehalt und Transfersummen ihrer Spieler orientiert und Funktionäre, die schon im Fall Deisler demonstrierten, dass sich nicht das geringste Verständnis für die Seele ihrer jungen Spieler haben, geben sich heute komplett ratlos und fragen „warum?“ Sicher, Profifußballer erhalten für die immense seelische Belastung auch ein fürstliches Schmerzensgeld. Aber „was hülfe es, die ganze Welt zu gewinnen, wenn die Seele daran Schaden nimmt.“
Jens Berger
http://www.trueten.de/archives/5463-Hartz-IV-Wenn-die-Seele-stirbt.html
Montag, 9. November 2009
Hartz IV - Wenn die Seele stirbt
Vermutlich gibt es darüber verschiedene Auffassungen, bei den Betroffenen aber ist die Meinung einhellig ja.
Nach dem Arbeitsplatzverlust kam für die meisten sicher erst einmal der Fall ins Ungewisse. Bekomme ich wieder eine Arbeit? Wie lange werde ich arbeitslos sein? Werde ich meine Lebensstandart halten können? Werde ich jetzt arm werden? Wie wird es weitergehen? Die Angst vor der Arbeitslosigkeit treibt die meisten schon vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit herum. Angst ist der Indikator unserer Zeit. Bei den Meisten, beginnt die Angst mit dem täglichen Gang zum Briefkasten. Wieder ein Brief von Job-Center oder Rechnungen die man gar nicht mehr bezahlen kann? Aus dieser Angst heraus hat es besonders zu Beginn der Hartz-Gesetze eine Vielzahl von Suizidhandlungen gegeben, die die Öffentlichkeit bestürzten. Dass man im Laufe der letzten fünf Jahre, in denen nun Hartz IV seine Wirkung entfaltet hat, kaum noch etwas von Suizidhandlungen hört, mag einerseits daran liegen, dass sich viele an dies Lebensform gewöhnt haben, der große Schreck vor der Veränderung verloren ging. Zufriedenheit findet heute auf einem wesentlich niedrigen, unnötig heruntergewirtschafteten Niveau satt. Andererseits heißt es aber nicht, nur weil nichts mehr davon zu hören ist, es diese Suizidalhandlungen nicht mehr geben muss. Mit Sicherheit passen sie nicht in das so pfleglich behandelte Bild, dass die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe der ganz große Wurf in der Sozialgesetzgebung der letzen Jahre gewesen sei. Zudem würden solche Meldungen in der Gesellschaft den einen oder anderen doch zum Nachdenken veranlassen, und der wäre dann ja nicht so leicht zu manipulieren.
Mit dem Eintritt in die Arbeitslosigkeit verbinden die meisten erst einmal noch die Hoffnung, baldmöglichst wieder eine Arbeit zu bekommen. Die älteren Arbeitnehmer sind, wenn sie realistisch sind, da schon vernünftiger und machen sich keine großen Illusionen mehr. Spätestens aber nach einem Jahr in der Erwerbslosigkeit erkennen die Betroffenen, dass für sie der Zug der Erwerbstätigkeit abgefahren ist. Sie sind an der Endstation angekommen. Am Abstellgleis. Sie erleben die täglichen Enttäuschungen dauernder Absagen, die oftmals schikanösen Behandlungen in den Job-Centern, den Ärger dauernd falscher Bescheide und erkennen, meist unbewusst, dass sie überhaupt nicht arbeitslos sind, sondern erwerbslos. Arbeit mit Behörden und Bescheiden haben sie meist mehr als vor ihrer Erwerbslosigkeit. Nur bezahlt werden sie dafür nicht. Was ihnen fehlt, ist die bezahlte Erwerbsarbeit, die ihnen auch das Überleben sichert.
Aber was macht es mit ihnen? Zeit im Überfluss, mit der sie aber wegen der wirtschaftlichen starken Einschränkungen nichts anfangen können. Für die meisten ging das Gerüst Struktur verloren. Während der Erwerbsarbeit war der Tagesablauf durchstrukturiert. Morgens aufstehen, Frühstücken, zur Arbeit gehen, Mittagspause, Feierabend…, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr mit Ausnahme der Wochenenden und des Urlaubs dasselbe Ritual. Man hatte sich daran gewöhnt. Alles hatte seinen festen Gang, hatte seine Ordnung. Was erkennen wir daran? Dass eine gewisse Ordnung, eine Struktur im Leben sehr wichtig ist. Aber wie können wir lernen, uns diese Struktur im Erwerbslosenleben selbst zu geben? Uns selbst ein Gerüst zu geben, ist auch mit einem Höchstmaß an Disziplin verbunden. Diese müssen wir aber ganz neu erlernen. Ein Leben in der Erwerbslosigkeit und speziell in Hartz IV erfordert schon ein hohes Maß an Charakterstärke, um nicht unter zu gehen und sich nicht selbst gehen zu lassen. Diese Charakterstärke besitzen anfänglich nur die wenigsten und muss häufig ganz neu erlernt werden.
Erwerbsarbeit heißt zu der Gesellschaft zu gehören, anerkannt werden, sich etwas leisten können, Teilhabe an der Gesellschaft. Ihr durch die Erwerbslosigkeit und ein Jahr später durch Hartz IV nicht mehr anzugehören, empfinden viele als Schmach.
„Denn nichts lähmt und schwächt derart wie die Schmach. Sie gräbt an der Wurzel an und untergräbt jede Tatkraft. Sie degradiert Menschen zu beliebig beeinflussbaren Objekten und reduziert alle, die unter ihr leiden, zu wehrlosen Beute. Daher der Reitz der Mächtigen, sich ihrer zu bedienen und sie zu verbreiten. Die Schmach erlaubt es, Gesetze aufzustellen, ohne auf Gegner zu stoßen, und sie dann zu übertreten, ohne Protest befürchten zu müssen. Die Schmach führt in eine ausweglose Situation, sie verhindert jeglichen Widerstand. Die Scham sollte an der Börse gehandelt werden, sie ist ein wichtiger Grundstoff des Profits“.
Dieses Zitat stammt aus dem preisgekrönten Werk „Terror der Ökonomie“ von Viviane Forrester, das sie bereits 1996, also zu einer Zeit als es noch kein Harzt IV gab, geschrieben hat. Heute ist es aktueller denn je.
Bei Vielen, die als Langzeitarbeitslose gelten, hat diese lange Zeit der Erwerbslosigkeit deutliche Spuren hinterlassen. Entruckturierter Tagesablauf, Lustlosigkeit, latente bis sichtbare Depressionen, Hoffnungslosigkeit, Kraftlosigkeit, der schleichende Verlust von Lebensfreude und die eben beschriebene Schmach, oder Scham hat die Verhaltensweisen der Betroffenen nachhaltig negativ verändert. In wieweit psychosomatische Auswirkungen der Betroffenen auf das alltägliche Leben einwirken, scheint bis dato noch nicht erfasst. Überhaupt ist es die Langzeitwirkung der Erwerbslosigkeit, mit der bewusst jeder Stolz, jedes Selbstbewusstsein, jedes Selbstwertgefühl, jede Handlungsaktivität zerstört wird. Die Schikanen der Job-Center als Instrument der Unterstützung, die Wünsche und Machtinstinkte der Industrie und Wirtschaft in praktischer Weise umzusetzen, fördern diese Entwicklung zum gebrochenen Menschen geradezu. Medienhetze und Politikerschelte, ganz gezielt und zeitlich punktuiert immer wieder eingesetzt, fördern ein Feindbild in der Gesellschaft, gegen das sich die Betroffenen durch ihre geschwächte Position und erniedrigte psychische Situation kaum noch wehren können. Langzeitarbeitslose werden als die Sozialschmarotzer unserer Gesellschaft geächtet.
Menschen die jahrelang, oft Jahrzehnte lang gearbeitet haben, ihre Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt haben, wurden durch den Prozess der skrupellosen, entsolidarisierten Profitgier Ihrer Arbeitgeber, der Industrie und Wirtschaft ihrer Arbeit und ihres Lebensinhaltes beraubt. Sie müssen sich für den Erhalt staatlicher Transferleistungen, die sie unter normalen Umständen überhaupt nicht nötig hätten, öffentlich verunglimpfen, beschimpfen und vorführen lassen. Das Mittel der gesellschaftlichen Entsolidarisierung, betrieben durch z.B. Deutschlands größte Tageszeitung, die überall, derzeit für 0,60€, zu erwerben ist, als Teil eines Medienkonglomerats des Axel Springer-Verlags und der Bertelsmanngruppe im Verbund mit SAT1, PRO7 und RTL und immer wiederkehrenden Äußerungen von Selbstdarsteller unserer Republik, welche größtenteils Mitglieder der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (gemeint ist natürlich weniger soziale Marktwirtschaft) sind, klappt in Deutschland auffallend gut. Egal ob Medienhetze, Politikerschelte, Sarrazins Ernährungstipps für ausgewogene Mahlzeiten, oder die Studien zweier Chemnitzer Professoren, es wird keine Möglichkeit ausgelassen, Erwerbslose und Hartz IV-Emfpänger öffentlich zu denunzieren wo es nur geht. Deutschland hat aus seiner Geschichte überhaupt nichts gelernt. Nur heute geschieht das alles wesentlich subtiler.
Bei den meisten Hartz IV-Empfängern hat die Langzeitarbeitslosigkeit die gravierendsten Spuren hinterlassen. Von der anfänglich erwähnten Strukturlosigkeit, beklagen die meisten auch den schleichenden Verlust der Lebensfreude, Energie, Begeisterungsfähigkeit und Interessen an Dingen, die ihnen früher Freude machten. Dies resultiert vorwiegend aus dem Druck andauernder materieller Zwangsenthaltsamkeit, der systematischen Auszehrung, sich ganz normale Dinge nicht mehr leisten zu können. Hobbys die vor der Erwerbslosigkeit gepflegt werden konnten, mussten danach aufgegeben werden. Also Dinge die einem Freude bereitet haben, an denen man Interesse hatte, die einen Ausgleich zum beruflichen Alltag schafften und die neue Kontakte zu Menschen mit selben Interessen schaffte, ging verloren. Austritte aus Vereinen, Sport, Kultur und anderen Interessengebieten waren und sind die Folge. Die soziale Isolation, die Tatsache nicht über die Dinge sprechen zu können, die einen bedrücken, die langanhaltende Zwangsverzicht, die emotionelle und materielle Armut, die Schmach Scham und Angst sich öffentlich zu der eigenen, oftmals unverschuldeten Situation öffentlich zu bekennen, macht das Leben für Viele zur Qual. Die Beschwerden und Entwicklungen sind bei den verschiedenen Bedarfsgemeinschaftstypen oftmals ähnlich und doch auch wieder verschieden. Hauptsächlich unterscheidet man zwischen Familien, Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften, Singlehaushalten, Jugendlichen und Kindern. Am gravierendsten sind die Entwicklungen jedoch bei Familien, Singlehaushalten und Jugendlichen. Aber auch zwischen Männer und Frauen gibt es deutliche Unterschiede, wie ihnen ihr Hartz IV-Dasein zu schaffen macht. Ebenfalls gib es Erhebungen zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen über die Häufigkeit und Art der Beeinträchtigungen. Besonders oft wird berichtet, dass der Bewerbungsdruck, die Abhängigkeit von Arbeitsamt und Job-Center, die Fülle von Sanktionen, die Laune der Fallmanager, der durch Hartz IV ausgeübte Zwang zur Arbeit, welcher in der Regel jedoch nie eine Festanstellung bringt, die andauernde Gängelung, die Entmündigung, die Zwangserziehung, die Entdemokratisierung, also der reine Gehorsam, am meisten auf die Seele und das Gemüt schlagen. Von vielen ehemaligen Hartz IV-Empfängern hört man, wenn sie aus den Mühlen dieses Systems gefallen sind, sei es durch Arbeitsaufnahme, oder Frühverrentung, dass eine unheimliche Last von ihnen gefallen wäre, sie eine unglaubliche Erleichterung spüren würden.
Diese Aussage alleine verdeutlicht wohl am besten, wie sehr Hartz IV die Menschen demütigt und bedrückt, ihnen jede Lebensfreude, Hoffnung, und Würde nimmt.
Die hauptsächlichen Unterschiede zwischen Familien, Singles und Kinder/ Jugendlichen liegen in folgenden Punkten :
Probleme in Familien:
Familiärer Zusammenhalt zerbricht, Zwischenmenschliche Beziehungen leiden unter der Situation, Man redet nicht mehr miteinander, Überforderung der täglichen Dinge, Ungeduld, Gereiztheit, emotionale Verwahrlosung, finanzielle Sorgen nehmen überhand, Sorgen um das tägliche warme Essen, reicht es für alle, reicht es bis zum Monatsende ? Eltern mit eigenen Problemen überfordert, jeder lebt für sich, Kinder werden zu Last, keine Erholung, Urlaub mehr, keine Privatsphäre mehr, Aggressionen gegen Familienmitglieder untereinander, Geld für Schulsachen, Essensgeld, Ausflüge, usw. fehlt. Das soziale Gerüst innerhalb der Familie zerfällt.
Ausnahmen gibt es, aber wenige halten dem Dauerdruck stand
Probleme bei Singles - Frauen und Männern:
Verstärkte Existenzängste, Tendenz zur Vereinsamung, Sozialer Rückzug, Trauer, Tendenz zu depressiven Verstimmungen, Sucht nach Geborgenheit, Wärme, menschliche Nähe, Verstärkter Wunsch nach kommunikativem Austausch, Geselligkeit, Partnersuche sehr erschwert, besonders für Männer außerhalb Hartz-IV Bereich fast unmöglich, anfälliger für psychische Erkrankungen durch Isolationsempfinden, Oftmals Tendenzen zu psychischen Erkrankungen wie Derealisation, Depersonalisation, schizoidem Verhalten, Herabsetzung der Psychognomie,(Erlebnisqualität) Herabsetzung der Viliganz,(Grad der sinnlichen und geistigen Reitzbarkeit) , Veränderung der Verhaltensweisen hin zu latent infantilem Benehmen als Ausdruck der Sucht nach gewollt werden, Geborgenheit, in den Arm genommen werden, Anerkennung, Aufmerksamkeit, beschützt werden wollen, Liebe erfahren,
Probleme bei Jugendlichen:
Verstärkte Abkehr von den Eltern, innerer Rückzug, emotionale Verwahrlosung durch sich selbstüberlassen sein, niedrigere Frustrationstoleranz, verstärkter Hang zur Gewalt und Kriminalität, Verstärkte Tendenz zum Jugendalkoholismus, Abzocken, klauen, erpressen, saufen gelten als „übel geil“. Suche nach Anerkennung bei Gleichaltrigen, immer mehr verstärkte Kinder- und Jugendarmut, Ausgegrenztheit, Schulangst, nicht mehr erreichen eines Schulabschlusses als Zeichen der Hoffnungslosigkeit, daraus folgt keine Ausbildung oder Studium, In Schulen wird das Ausfüllen von Hartz V-Anträgen geübt, was für eine pädagogisch wertvolle Arbeit ? Perspektivlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Leistungs-verweigerung, Depressionen, Psychische Probleme in der Adoleszenz, auffallende Häufung von Empfehlungen für Einweisung in die Jugendpsychiatrie,
Bei den Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften (also z.B. Wohngemeinschaften) sind die Probleme durch die Ausgewogenheiten und Vielfalt der Mitbewohner aufgeteilt in Geschlecht, Nationalität und Alter oftmals am besten zu meistern, da hier keine direkte persönliche Verpflichtung besteht, dem andern zu helfen. Die Möglichkeit, es ohne moralischen Druck trotzdem tun zu können, erleichtert die Lösung von Konflikten und Problemen enorm und die Freiwilligkeit der Hilfe bringt oft erträgliche Lösungen für die Hilfesuchenden. Das Gefühl, da ist jemand, mit dem ich reden kann, nicht alleine zu sein, Geborgenheit in einer Gemeinschaft zu erleben macht stark und solidarisiert. Hiervon können Singles in ihrem täglichen einsamen Leben zu Hause nur träumen, wenn sie nicht gelernt haben mit dieser Situation umzugehen und sich nicht zu organisieren.
Beschwerden Erwerbstätige:
- Umfrage: von 226 Erwerbstätigen 19% demoralisiert
- Keine entstrukturierte Zeitgestaltung
- 9% trinken regelmäßig Alkohol
- In 1000 Versicherungsjahren:
- 116 Krankheitstage wegen psychiatrischen Erkrankungen
- 12% stationäre Leistungstage im Kalenderjahr
- Risiko früher zu versterben: 09%
- Umfrage: von 226 Erwerbslosen 43% demoralisiert
- 48% Zeitgestaltung entstrukturiert
- 46,8% trinken täglich Alkohol
- In 1000 Versicherungsjahren: 876 Krankheitstage wegen psychiatrischer Erkrankungen
- 36% stationäre Leistungstage im Kalenderjahr
- Risiko früher zu versterben: 47%
- Psychiatrische Erkrankungen: 12%
- am häufigsten wegen Entbindungen, 57% deutlich mehr als bei erwerbstätigen Frauen: 14%
- Alkoholabhängigkeit bei erwerbslosen Frauen: 14%
- Bei erwerbstätigen Frauen: 03%,
- 36% stationäre Leistungstage im Kalenderjahr
- Psychiatrische Erkrankungen: 41%
- Erkrankung wegen Alkohol, Medikamenten- und Drogenkonsum, Alkoholpsychosen, Leberschäden, Psychosen, Neurosen,
- 17% stationäre Leistungstage im Kalenderjahr
Hartz IV ist Tötung durch Armut. Das mag sich zunächst brutal anhören, ist aber eine Tatsache. Alleine dass die wahrscheinliche Sterberate bei Erwerbslosen und Armen um ein vielfaches höher ist, als bei Arbeitenden und Normalverdienern, belegt diese Aussage.
Es ist oftmals ein langsames, leises Sterben. Es beginnt mit dem Verlust jeglicher Lebensfreude, Begeisterungsfähigkeit, Empfindungen, Interesse an Dingen, die eigentlich reizvoll wären, Es mündet oft in Desinteresse, Teilnahmslosigkeit, Lustlosigkeit, Trägheit, Depression, Kraft- und Energielosigkeit und steigert sich ,oft selbst unbemerkt, in unregelmäßiger Nahrungsaufnahme mit einem Essen, dem es an jeglichen gesunden Nährstoffen fehlt. Gesunde Ernähung ( Obst, Gemüse, Fisch u. v. m.) ist auf Grund mangelnder ökonomischer Verhältnisse gar nicht möglich. Erkrankungen kommen oft auch durch mangelnde ärztliche Vorsorge, weil oftmals nicht mal mehr die 10.-€ Praxisgebühr aufgebracht werden können. So wird Vieles schleifen gelassen, bis es oftmals zu ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt. Zahnersatz kann schon gar nicht mehr garantiert werden. Mit mangelhaftem und von Zahnlücken übersätem Gebiss kann keine dauerhafte gesunde Ernährung mehr erfolgen. Wenn nicht der Freitod gewählt wird, so sorgen schon der Verzehr von billigem Fraß für ein verfrühtes Ableben. Kummer, Sorgen, Gram und Angst sorgen für das Übrige.
Durch den Bezug der Hartz IV-Leistung fühlen sich die meisten ausgegliedert aus einem System, das ihnen Sicherheit, Geborgenheit und auch ein Stück Heimat gab. Durch die gesellschaftliche Ausgrenzung, durch öffentlich propagandierte Ächtung, durch Armut bis zum Lebensende, durch die Abschiebung in eine Parallelgesellschaft hat für die meisten der Begriff der Geborgenheit und Heimat seine Bedeutung verloren. Sie sind Heimatlose im eigenen Land, in dem sie durch ein Armutsgesetz gefangengehalten werden. Welcher Hartz IV-Empfänger wird sich einmal wieder einen Urlaub leisten können, wird er jemals noch einmal in seinem Leben das Meer sehen, die Alpen besteigen können, wann wird er wieder einmal Paris, London oder San Fransisco sehen ? Und wie ist das eigentlich mit Weihnachten ? Die Sorgen der Familien mit den Eltern, die ihren Kindern aber auch jeden Wunsch abschlagen müssen, gar nicht zu vergessen. Der immer gleiche Trott, nie eine Abwechslung, nie einmal etwas schönes erleben, kein Ausflug, kein Biergarten, kein Kino, kein Theater oder Musical, kein Auto, keine uneingeschränkte Beweglichkeit , womit haben Hartz IV-Bezieher das alles eigentlich verdient?
Neue zwischenmenschliche Kontakte sind für Hartz IV-Empfänger außerhalb ihres Kreises kaum noch möglich. Sie können finanziell nirgends mithalten, ein Hartz IV-Mann kann eine Frau, falls sie sich überhaupt mit ihm abgibt, kaum zum abendlichen Essen in ein schönes Lokal einladen. Von anderen Dingen ganz zu schweigen. In einer von Konsum orientierten Welt, kann ein Hartz IV-Empfänger überhaupt nicht mehr bestehen. Er muss mit den selben Regeln leben, muss den selben Wettkampf bestreiten und wird doch an seinem Fortkommen so brutal gehindert. Vermittlungen durch Job-Center finden überhaupt nicht statt, und findet mal ein Hartz IV-Empfänger eine der seltenen Chancen eine feste Arbeit ohne Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen zu bekommen, werden ihm mit allen Mittel vom Job-Center Steine in den Weg gelegt. Job-Center sind in Deutschland nichts anderes als Job-Verhinderungscenter und Handlanger der Industrie – und Wirtschaft. Das einhalten von Gesetzen und Regeln ist nicht ihr Ding. Und da fragt sich noch einer, was das mit den Betroffenen macht?
Sind die Hartz IV-Emfpänger nicht die wirklichen Leistungsträger dieser Gesellschaft? Sie ermöglichen durch ihren Zwangsverzicht einer Gesellschaft, die sie verstößt und an ihnen verdient, doch erst, dass sie diese Leistungen und Gewinne erbringen können. Hartz IV-Emfänger sind nicht die Wunschkinder dieser Gesellschaft, und so werden sie auch behandelt, wie ungewollte, ungeliebte Kinder.
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