Montag, 16. November 2009

Tanzende Arbeiter

Heute im Netz gefunden: Die tanzenden Arbeiter von Ssangyong. Es war auf einer Veranstaltung ihrer Gewerkschaft, dass sie auftraten, tanzten und alle mitrissen. Prompt müssen wir wieder alles mit unseren beurteilenden Stempeln versehen. Wenn alle begeistert mittanzen, ist das für uns gleich eine Masseneuphorie. Euphorie ist bäbä, besonders bei uns...

Und hier beginnt auch meine Antwort zu dem Diskussionsthema von der Kriegspostille - der Brief an Frau Bundeskanzlerin Merkel von Herrn Ingold-Kaissa.

Die tierische Ethik, welche er bei den Menschen wahrzunehmen vermeint, ist jene Nicht-Ethik, die im Moment vorzuherrschen scheint. Das ist kein Wunder, nachdem alles was einmal gegolten hatte, zunehmend entsorgt wurde und wird.

Doch wir setzen dem nur Trübsinn entgegen, Rücksichtslosigkeiten, Hetze und Hoffnungsarmut. Aufzubieten haben wir wenig, und tun es auch nicht - denn, uns hält die Angst, der eingetrichterte, voraushastende Gehorsam in uns, davon ab, etwas anderes zu wagen, als nur zu funktionieren und zu spuren.

Können wir uns vorstellen, dass zum Beispiel unsere Müllaufsammler mit den Zangen und Säcken, die 1.-- Euro-Garde, und jene die städtische Mülleimer leeren, sich versammeln, eine Rede halten, und dann tanzen? Nein?

Genau das ist der Knackpunkt: Wir haben verinnerlicht, dass uns kein Vergnügen zusteht - schon gar nicht bei so ernsten Themen wie der Arbeitslosigkeit, an der ja angeblich jeder einzelne Betroffene selber schuld sein soll - unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht. Wir haben es vollkommen in uns aufgesogen, und mit jeder einzelnen Pore schwitzen wir es wieder aus: "Kein Recht auf Faulheit!" - kein Recht auf Spass - locker sein nur beim Arbeiten, damit es flutscht - der Kampf um Arbeit verstohlen, und nur für jene die gerade noch welche haben - verbissen und käuflich auch - aber nichts da, getanzt wird nicht.

Wenn wer tanzt, dann nur jene in den Glitzerkleidern, für die noch Besitzenden, die es sich leisten können, Tanzdarbietungen zu kaufen. Bald wird es auch das nicht mehr geben, denn für die Kultur ist immer zuerst kein Geld mehr da. Kultur wird als überflüssig erachtet, wenn die Arbeitskraft ausgebeutet wird, - wenn alles an die Wand gefahren wird, was den Menschen noch irgendwie etwas bringen könnte.

Kultur - trotz aller Dichter und Denker, die es zu allen Zeiten schwer hatten, besonders auch bei uns, ist etwas, das leider gerne in den Bereich der Faulheit hineingeschoben wird. Wer schreibt, der will Lügengeschichten zu Papier bringen, will sein Ego austoben, will nichts Ernsthaftes arbeiten... Für andere Bereiche der Kunst und Kultur gilt Ähnliches.

Wir wundern uns zur Zeit gerne über die austickende Jugend, die sich in Alkoholexzessen zu wälzen scheint, bis hin zum Koma. Wo es nichts zu tanzen gibt, - wo die Kultur gemeuchelt wird,- wo der Mensch von der Windel an zurecht gebogen wird, dressiert wird bis ihm die Schwarte qualmt, - was bleibt da noch? Sich betäuben vor den Ängsten, vor den Anforderungen ohne Ende, vor den Zumutungen. Dazu kommt die Neugier der jungen Leute, und was leben wir ihnen vor, dass diese Neugier Ziele hätte?

Können wir Älteren uns überhaupt vorstellen, was es bedeutet, in diese zurechtgeschundene Welt von heute hineingeboren zu sein? Jung zu sein zwischen den Lern- und Leistungsanforderungen, zwischen den Pflastersteinen der ewig gleichen, immer toter werdenden Fussgängerzonen, in einer Gesellschaft, in der nichts los sein darf - nichts Spass machen darf - ausser Leistung? Wissen wir was es heisst, wenn die Heranwachsenden mit ihren Gefühlen fertig werden sollen, die wir anderen schon abgeschrieben haben? Sie finden darin fast nichts mehr, was ihnen den Weg damit erleichtern könnte. Wir anderen alle sind ja schon so abgebrüht und dekadent, dass das wohl kaum ein Beispiel abgeben kann. Das sind nur einige Punkte, die bedenklich erscheinen.

Nun hat also Gerhard Ingold Kaissa die Ethik gesucht, und nicht mehr gefunden, ausser einer, die er als tierisch bezeichnet, weil der Mensch in seinem Wesen immer noch ein Tier sei. Allerdings muss er zugeben, dass sich Tiere oft sozialer verhalten als der Mensch. Was also ist an jener Nicht-Ethik tierisch, die er dem Menschen als tierischen Anteil unterschieben will?

Mit seinen Bezügen mittels Bibel hat er sicher recht, doch wenn die Ethik entsorgt wurde, dann zählt auch die Bibel nichts mehr. Zudem haben wir auch immer die Bibel dazu benutzt, unsere Verbissenheiten noch mehr durchzusetzen, und das andere alles auszuklammern, das uns nicht genehm war. Die Religionen werden immer weniger gefragt, und es liegt auch daran, dass sie bis zur Unkenntlichkeit zurecht gedeichselt und ins Gegenteil dessen verdreht sind, was ursprünglich gemeint war. Das gilt auch für die sogenannten christlichen Parteien.

Das Ganze, wenn es denn noch als Eigenheit des Menschen bezeichnet wird, ist rein menschlich, und hat mit tierischer Ethik nichts zu tun. Es hat viel mehr damit zu tun, dass die Deutschen wieder marschieren - in Kriege und Gemetzel - in neue Waffentakte auch gegen die eigene Bevölkerung - in andere Länder... Wer marschiert kann nicht auch noch tanzen...

Nein, ich verwahre mich dagegen, dass Tiere dafür herhalten sollen, wenn der Mensch aus seinem natürlichen Takt gerät,- wenn er verbissen wird und künstlich aufgebläht,- wenn eine Jagd eröffnet ist, die mit jener Jagd der Tiere gar nichts mehr zu tun hat.

Der Artikel um den es geht, kann im Original hier nachgelesen werden:

http://gerhard-ingold.blog.de/2009/11/12/offener-brief-frau-bundeskanzlerin-merkel-7359562/

So lange, wie wir selber unser Sein einfrieren auf einem Level, der nur noch auf die Mechanik der Leistung beruht, wird das nichts mit der Menschlichkeit. So lange, wie Menschlichkeit rein auf das Funktionieren reduziert wird, will der Bürger in diesem Land nicht zulassen, dass andere Menschen tanzen, ausser es bringt Geld...

Der einzige legale Tanz der gerade zugelassen wird, ist jener um das "goldene Kalb" des Geldes, des Besitzes, der sogenannten Leistung, des Reichtums. Die tatsächlichen Arbeiter werden bei uns gegeneinander gehetzt, die untersten Schichten werden noch mehr geduckt und so lange zurechtgedemütigt, bis sie sich kaum noch den Kopf zu heben wagen.

Deshalb erscheint offenbar der Bericht von den tanzenden Arbeitern in Korea so aussergewöhnlich, so verblüffend. "Was, die tanzen?" "Ja". "Unglaublich".

Das Unfassbare daran ist, dass diese Menschen es taten - sich feierten und tanzten - während wir das längst vergessen haben. Das Negative ist uns sympathischer, der Hau-Drauf hat in Deutschland mehr Chancen als ein Tänzer und Poesie. Unsere dichterische Kraft ist verkümmert, die Kreativität verkommen, der sogenannte freie Mensch in seinem selbstgemachten Knast eingerichtet.

Hier nun die Arbeiter aus Korea:

Ein unbestreitbarer Höhepunkt der Kundgebungsreihe des kämpferischen südkoreanischen Gewerkschaftsverbandes KCTU war der Auftritt der Arbeiter von Ssangyong Motorenwerke am Abend des 7.11.2009.
Die Arbeiter von Ssangyong hatten ab Mai 2009 als Kampfmaßnahme gegen eine massive Entlassungswelle ihren Betrieb besetzt. Wochenlang verteidigten sie sich gegen Streikbrecher, angeheuertes Security-Personal und schließlich gegen die Polizei.
Sie schlugen militant mehrere Versuche, den besetzten Betrieb zu erstürmen, mit großer Militanz zurück.
Auf der Kundgebung waren sie die unstrittigen Helden der Veranstaltung und der gesamten südkoranischen Arbeiterbewegung.
Obwohl der von beiden Seiten überaus hart geführte Besetzungsstreik ("Sitzstreik") nur ein Teilsieg war, und mithin auch eine Teilniederlage (nicht alle entlassenen Arbeiter wurden wieder eingestellt) sind die Arbeiter von ssangyong durch ihren Mut und ihre Tapferkeit zum gefeierten Vorbild der südkoreanischen Arbeiterbewegung geworden.
Unglaublich jedoch die Tatsache, dass Arbeiter von Ssangyong auf der Tribüne mit den Mitteln des Tanztheaters (ein sehr typisches Assessoire der koreanischen Arbeiterbewegung) ihren harten Arbeitskampf selbst darstellten und dann - nach einer kruzen sehr kämpferischen Rede eines KCTU - Sprechers - auf der Bühne mit dem in viele zehntausende gehenden Publikum tanzten.
Dieser Film umfasst annähernd den gesamten Auftritt der Ssangyong-Arbeiter und übermittelt ein eindrucksvolles Bild von dem ungebrochenen Optimismus und der ungebrochenen Kampfkraft der Bewegung.

Wer sich näher über den spektakulären Arbeitskampf bei Ssangyong informieren möchte (allein schon um die Stimmung in diesem Film hier zu verstehen), dem seien folgende Links empfohlen:

http://www.youtube.com/watch?v=PLXCRz...
http://www.youtube.com/watch?v=xzIOmK...
http://www.youtube.com/watch?v=znMSlq...
http://www.youtube.com/watch?v=ArTION...
http://www.linkezeitung.de/cms/index....




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